Lösungsorientiertes Arbeiten

Hintergrund und Entstehung

In den Jahren nach 1975 haben Steve de Shazer und Insoo Kim Berg in ihrem Familientherapiezentrum in Milwaukee/USA, das lösungsorientierte, bzw. lösungs-fokussierte Modell entwickelt.

Sie vertraten die Idee, dass die Klienten selbst für die Lösung ihrer Probleme kompetent sind. Sie erkannten in ihrer Arbeit, dass Menschen, die Hilfen und Ratschläge für ihr Leben suchen, Lösungen für ihre Herausforderungen in sich selbst tragen. Der Prozess des Suchens nach eigenen Lösungen orientiert sich an den individuellen Ressourcen. 

Über besondere Fragestellungen der beiden Therapeuten fanden die Klienten ihre eigenen Lösungen. Dadurch kamen sie schneller zu Erfolgserlebnissen als über die üblichen Beratungen und „gescheite Ratschläge“ der Therapeuten, die als Experten galten. Diese Art zu arbeiten wurde Kurzzeittherapie genannt, da die Therapien nur wenige Sitzungen erforderten, die Klienten rasch Fortschritte machten und letztendlich selber entschieden, wann die Therapie beendet war: nämlich spätestens dann, wenn ihr Problem ihnen nicht mehr als Problem erschien.

LOA – der Lösungsorientierte Ansatz – ist eine Haltung, mit dem Ziel, die Klienten bzw. Betreuten möglichst schnell aus „Abhängigkeiten“ von Therapeuten zu entlassen. In der gemeinsamen Arbeit werden individuelle Ressourcen entdeckt und weiterentwickelt, die genutzt werden können, um den jeweiligen Lebensaufgaben und Herausforderungen gut begegnen zu können.

In den Jahren ab 1993 haben Marianne und Kaspar Baeschlin in einem Heim mit angegliederter Schule in der Schweiz begonnen, den Lösungsorientierten Ansatz auf die pädagogische Arbeit zu übertragen. Nach intensiver Einarbeitung durch  s. de Shazer und I.K. Berg (die Begründer des Modells) kamen sie zur Ansicht, dass LOA sich für die pädagogische Arbeit in der Jugendhilfe hervorragend eignet. Auch in diesem Arbeitsfeld ist es Ziel, dass Kinder und Jugendliche sich für ihr eigenes Leben kompetent erleben, um sie so schnell wie möglich in ein selbständiges Leben zu begleiten.

Der Kern von LOA

Wenn wir z. B. einen Jugendlichen dahin unterstützen, seine Verhaltensschwierigkeiten zu bearbeiten fragen wir ihn, wie und wann es ihm manchmal schon gelingt, sich anders zu verhalten. Wir reden mit ihm über die Fähigkeiten, die er dazu braucht. Dadurch stärken wir ihn, indem wir auf Gelungenes fokussieren, statt ihm immer wieder vorzuführen, was er nicht kann. Grundsätzlich reden wir mit den jungen Menschen über das, was sie wollen, was sie können, anstatt wie früher mit ihnen zu erörtern, warum sie etwas nicht können oder versagt haben. Wir blenden das Problem nicht aus. Die Lösungen entstehen über das Interesse dafür, was der Heranwachsende macht, wenn er Erfolg hat. Das ergibt eine ganz neue Dynamik im Leben eines Menschen.

Die lösungsorientierte Pädagogik ist eine „Ich-kann, Ich-schaff-es, Ich-will- Pädagogik“. Wir suchen und entwickeln die positiven Kräfte im Menschen. Die lösungsorientierte Haltung und Sprache, wie sie in dem Familientherapiezentrum in Milwaukee entwickelt wurde, hilft uns dabei, indem sie immer wieder auf das schaut, was gelingt, auch wenn noch wenig davon zu sehen ist. Der lösungsorientierte Ansatz erfordert vom Pädagogen/Betreuer eine persönliche Umstellung, indem sich dieser bemüht, Fragen zu stellen, statt Ratschläge zu erteilen.

Die Betreuenden sind nicht mehr die Experten für Andere und wissen, was gut für diese Person ist, sie sind vielmehr Entwicklungshelfer, eine Art  „Hebamme” für den Entwicklungsprozess des Gegenübers, indem sie diesen mit Fragen unterstützen den eigenen Weg zu finden. Das Menschenbild, welches dem lösungsorientierten Modell zu Grunde liegt, dient den Pädagogen als Leitlinie für das eigene Handeln. Es ist nicht als Wahrheit zu verstehen, eher als Vision, als Richtung für unser Denken und Handeln: Kein Mensch handelt grundsätzlich destruktiv. Jeder macht das im Moment von ihm aus gesehen Bestmögliche, weil ihm nichts Nützlicheres einfällt. Jedes Verhalten ist ein Lösungsversuch, manchmal auch ein schlechter.

Wenn wir lösungsorientiert arbeiten verfolgen wir das Ziel, dass die Betreuten immer öfter ein Verhalten entwickeln, welches sich für sie und ihre Mitmenschen gut auswirkt.

Erziehung im Wandel der Zeit

In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg herrschte der autoritäre Erziehungsstil, den viele auch körperlich erfahren mussten. Die Maxime war: Erziehung zur Disziplin, Gehorsamkeit, Unterordnung und Anpassung. Die Erwachsenen bestimmten, wie das Kind sich zu verhalten hat. Sie wussten, was für das Kind gut ist und entschieden, wann und was ein Kind wissen durfte. Die Macht war auf der Seite der Erwachsenen, diese konnten ihren Willen mittels Zwang, Strafe oder auch körperlicher Züchtigung durchsetzen. Dieser Erziehungsstil ist überholt und wird heute in der Bevölkerung und vom Gesetzgeber nicht mehr unterstützt. Trotzdem ist dieser Erziehungsstil, bzw. die Haltung, die dem zugrunde liegt, nicht gänzlich überwunden.

Erwachsene, auch Pädagogen, meinen oft, zu wissen, was ein Kind anderes machen muss. Dies zu sagen ist nicht hilfreich und es werden in der Regel keine manifestierten, tiefgreifenden Veränderungen ermöglicht. Die Gegenreaktion auf die autoritäre, überdisziplinierte Lebensweise war eine Phase der Befreiung, die zu großen gesellschaftlichen Spannungen geführt hat. Die neue Freiheit bewirkte, dass innovatives Denken möglich wurde und z. B. Paul Watzlawik die Bewegung der neuen Freiheit entwickelte.

Wir sind der Überzeugung, dass jeder Mensch, insbesondere Kinder und Jugendliche, Regeln und Rahmenbedingungen benötigen, die Orientierung im Entwicklungsprozess geben. Leitlinie des Handelns in unserer Arbeit ist die Entwicklung eines Selbstwertgefühls und Erfahrung der Selbstwirksamkeit im pädagogischen Betreuungsalltag.

Vom Sagen zum Fragen

„Verantwortung kommt von Antwort. Antworten können Kinder und Jugendliche nur, wenn sie gefragt werden.“

Mit Fragen fokussieren wir die Kinder und Jugendlichen auf die Verantwortlichkeit für ihre Weiterentwicklung. Wir erstellen ausgehend von der Hilfeplanung individuelle Lernziele für kurze Zeiträume mit den Kindern und Jugendlichen. Wir machen die Erfahrung, dass die jungen Menschen durch die Kleinschrittigkeit der Ziele bereit sind, Leistungsanforderungen zu erfüllen. Wir sind davon überzeugt, dass Kinder und Jugendliche lernen wollen und alle dafür benötigten Ressourcen vorhanden sind. Neben einer größeren erlebten Selbstwirksamkeit werden Pädagogen entlastet, weil eine andere Form der Zusammenarbeit zwischen den jungen Menschen, den Pädagogen und Lehrern entsteht. Die Erwachsenen müssen nicht mehr die Antworten auf die Lösungen der Schwierigkeiten geben. Der junge Mensch bestimmt das Lerntempo, bestimmt wann er Hilfe braucht und erlebt Fragen der Pädagogen als Unterstützung.

Hilfreiche pädagogische Fragen:

  • „Wo stehst du gerade? Wo möchtest Du hin?“
  • „Wie hast Du das geschafft?“
  • “Was ist dein Ziel?“
  • „Wie willst du es schaffen?“
  • „Wann ist Dir etwas Ähnliches schon einmal gelungen?“
Umsetzung des Handlungskonzeptes in der Stiftung

Die Stiftung Beiserhaus hat in 2011 allen Mitarbeitenden Fortbildungen zur Einführung des Lösungsorientierten Arbeitens in der Jugendhilfe ermöglicht. In den darauffolgenden Jahren wurden jeweils weitere Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt, an denen alle Mitarbeitende aus dem pädagogischen Bereich teilnahmen und auch weiterhin finden jährliche Fortbildungstage für alle Pädagoginnen und Pädagogen statt. 

In den Wohngruppen werden themenbezogene Teamtrainings angeboten. Weitere themenbezogene Workshops sind Bestandteil der einrichtungsinternen Fortbildungsangebote und werden von den Mitarbeitenden zur Umsetzung des Lösungsorientierten Arbeitens regelmäßig besucht. In der Stiftung Beiserhaus haben mehrere Mitarbeitende, eine zweijährige Ausbildung als Trainerin/Trainer zum Lösungsorientierten Arbeiten absolviert (ZLB Winterthur/Schweiz). Jährlich finden Workshops, Einführung in das Lösungsorientierte Arbeiten, für neueingestellte Mitarbeitende statt. Darüber hinaus werden themenspezifische und weiterführende, vertiefende Workshops angeboten.

Zur Verstärkung und Umsetzung des Lösungsorientierten Handels in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Stiftung, wurde in Kooperation mit dem ZLB Schweiz ab dem Jahr 2017 eine mehrmodulige zweijährige Weiterbildung durchgeführt, an der 25 Gruppenleitungen und Multiplikatoren teilnahmen. 2022 wurde diese Weiterbildung intern erneut angeboten.

 

Quelle: vgl. verschiedene Schriften Marianne und Kaspar Baeschlin, ZLB Winterthur,
www.zlb-schweiz.ch